Am Samstag, 16. November 2024, fand in der Dorfkirche St. Arbogast in Muttenz unter Leitung von Thomas Schmid ein praxisorientierter Weiterbildungskurs über das Thema „Von Bach bis Mendelssohn: Choralvorspiele zwischen Barock und Romantik“ statt.
Sechs OVBL-Mitglieder nahmen die Gelegenheit wahr, wenig bekannte und demzufolge selten gespielte Choralbearbeitungen aus der Epoche von Bach bis Mendelssohn kennen zu lernen. Auf unterhaltsame Weise erfuhren sie viel Neues über die heute weitgehend in Vergessenheit geratenen für die Orgel komponierten Choralbearbeitungen des Klassizismus und der Romantik. Mit Bewunderung beobachteten sie, mit welcher Selbstverständlichkeit und Beiläufigkeit Thomas Schmid die hohen pedaltechnischen Herausforderungen gewisser Choralbearbeitungen meisterte. Lebhaftes Pedalspiel und Spielfreudigkeit gehörten zu den Vorlieben mehrerer Komponisten, die Wert darauf legten, sich direkt auf J.S. Bach als Lehrer (ihrer Lehrer) zu berufen. Zu ihnen gehörten u.a. Jacques-Nicolas Lemmens und Johann Gottfried Müthel. Der Flame Lemmens (1823-1881) studierte in Breslau bei Adolf F. Hesse, der seinerzeit wegen seines leidenschaftlichen Einsatzes für Bachs Orgelwerke auch „der schlesische Bach“ genannt wurde. Der 1728 geborene Müthel gehörte (zusammen mit dem um vier Jahre jüngeren Kittel) zu den letzten Schülern J.S. Bachs. Kurz vor Bachs Tod wohnte er in dessen Haushalt. Wie andere Bach-Schüler hatte er Werke des erblindeten Meisters zu kopieren.
Anhand von Choralbearbeitungen von Otto Thomas und Johann Kuhnau konnten die Anwesenden miterleben, was das Hauptziel solcher Kompositionen war: die Aktivierung bestimmter Gemütslagen oder „Affekte“. Dies war wichtiger als die ständige Erkennbarkeit der Choralmelodie. Manche der Choralbearbeitungen zeichnen sich durch Einfallsreichtum und Liebreiz aus; sie verdienen es, wieder entdeckt zu werden. Von besonderer Empfindsamkeit geprägt sind die Choralbearbeitungen Johann Christoph Kellners (Kassel). Durch Motivwiederholungen, um Halb- und Ganzton-Schritte aufsteigende Motivfolgen sowie lange Kadenzen erzielen sie eine fortwährende Intensitätssteigerung.
Auch die Choralbearbeitungen des bereits erwähnten Bach-Schülers Johann Christian Kittel, des Kittel-Schülers Michael Gotthard Fischer und des Fischer-Schülers Ludwig Ernst Gebhardi zeugen einerseits von Bach-Verehrung, andererseits von eigenständiger Umsetzung zeitgenössischer Tendenzen sowie von Bewunderung für Mozart. Im 19. Jahrhundert wurde es eine beliebte Praxis, ein Thema in verschiedenen Tonarten wieder aufzunehmen und es dabei unterschiedlich zu gestalten. Vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zum 19. Jahrhundert wurden die Choräle immer langsamer gesungen; beim Choralspiel wurden Ehrfurcht und tiefe innere Empfindung angestrebt. Musikalische Zitate aus Chorälen wurden auch in nicht direkt kirchengebundenen Kompositionen als Spuren der jenseitigen Welt verstanden und eingesetzt.
Mit grossem Interesse lauschten die Anwesenden Thomas Schmids Orgelspiel und Erläuterungen. Manche ergriffen die Gelegenheit, aufgrund eigener langjähriger Erfahrung Themen anzusprechen, mit denen heutige OrganistInnen bei der Choralbegleitung und bei der Darbietung von Choralbearbeitungen konfrontiert sind. Solche den Horizont erweiternde Weiterbildungskurse sind ein Gewinn für die kirchenmusikalische Praxis!